Achtsamkeit im Führungsalltag

« Mit­ge­fühl lernt man nicht im Bör­sen­teil der Zeitung»

Nicht die Arbeit an sich, son­dern miss­glückte Kom­mu­ni­ka­tion sei für Stress­si­tua­tio­nen im Büro ver­ant­wort­lich, sagt Ste­fan Huck. Der ZEN-Bud­dhist erläu­tert, wes­halb er wenig von Schlag­fer­tig­keits­se­mi­na­ren hält, und er erk­lärt, warum er als Manage­ment­be­ra­ter dafür ein­tritt, dass Chefs hie und da mit dem Besen den Gang wischen. 

Inter­view: Math­ias Mor­gen­tha­ler (Ber­ner Zeitung)

Herr Huck, Stress am Arbeits­platz kos­tet eine Menge Geld und Ener­gie. Wes­halb wer­den der­art viele Men­schen Opfer ihrer Arbeit? 

STEFAN HUCK: Die meis­ten wer­den nicht Opfer ihrer Arbeit, son­dern Opfer des sozia­len Kon­tex­tes. 98 Pro­zent aller Stress­ge­fühle rüh­ren vom sozia­len Bere­ich her, haben also eher damit zu tun, wie man im Team mit­ein­an­der kom­mu­ni­ziert, als damit, wie grosse Akten­berge wir zu bewäl­ti­gen haben.

Was mei­nen Sie mit dem sozia­len Kontext?

Ich spre­che damit den zen­tra­len Bere­ich der Kom­mu­ni­ka­tion an. Kom­mu­ni­ka­tion erschafft Rea­li­tä­ten, sie hat immer psy­cho­lo­gi­sche und bio­lo­gi­sche Kon­se­quen­zen. Ger­ade Füh­rungs­kräfte müs­sen sich bewusst wer­den, dass sie nicht nur im Kopf, son­dern auch im Kör­per der Zuhö­ren­den etwas bewir­ken, dass sie also im ungüns­ti­gen Fall die Magen­säure anstei­gen las­sen oder den Herz­rhyth­mus durch­ein­an­der brin­gen. Wenn wir unsere soziale Ver­ant­wor­tung beim Spre­chen bes­ser wahr­neh­men, kön­nen wir damit viel Stress ver­mei­den. Es sind die Geschich­ten über das Han­deln, die Stress aus­lö­sen, nicht das Han­deln selber.

Das Ange­bot an Kom­mu­ni­ka­ti­ons– und Rhe­to­riks­e­mi­na­ren ist immens. Wes­halb tra­gen all die Anstren­gun­gen so wenig Früchte?

Die meis­ten Trai­nings wer­den zu stark instru­men­ta­li­siert. Immer geht es um Absatz­stei­ge­rung, Schlag­fer­tig­keit, Über­zeu­gung – um sehr aggres­sive Dinge also. Ich beschäf­tige mich seit mei­ner Jugend mit der bud­dhis­ti­schen ZEN Medi­ta­tion; dabei habe ich gel­ernt, dass es in ers­ter Lin­ie auf Acht­sam­keit ankommt. Wir soll­ten ver­su­chen, vor­ur­teils­los hin­zu­hö­ren, hin­ter den Wor­ten den Men­schen her­aus­zu­spü­ren und Stück für Stück wach­er zu werden.

Dabei möch­ten uns kleine Büch­er mit Titeln wie «ZEN für Mana­ger» behilf­lich sein. Ist es mög­lich und sinn­voll, Bud­dhis­mus und Unter­neh­mens­füh­rung unter einen Hut zu bringen?

Das eine schliesst das andere nicht aus, wie das Bei­spiel des Chefs der japa­ni­schen Indus­trie­ver­ei­ni­gung zeigt, der gleich­zei­tig ZEN-Priester ist. Natür­lich ist es unsin­nig, über­lie­ferte Rit­uale zu prak­ti­zie­ren, die nichts mit unse­ren Lebens­um­stän­den zu tun haben. Wenn sich aber Ver­ant­wor­tungs­trä­ger darum bemü­hen, acht­sam und vor­ur­teils­frei zu wer­den und ein Bewusst­sein dafür zu ent­wi­ckeln, was sie tun, ist das sehr zu begrüs­sen. Zu die­sem Zweck müs­sen sie sich nicht in ein Klos­ter zurück­zie­hen – auch beim Ein­schal­ten des Com­pu­ters kann man ler­nen, ganz im Jet­zt zu leben. Letzt­lich geht es darum, den Respekt vor der Magie des Lebens nicht zu verlieren.

Man­che ste­hen eher vor der Frage, wie sie die Angst vor dem Ter­ror des Büro­all­tags verlieren…

Die meis­ten psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen resul­tie­ren aus inne­ren Kon­flik­ten, aus der Dif­fe­renz zwi­schen den Anfor­de­run­gen von aus­sen und den pri­va­ten Wün­schen. Wenn wir uns bewusst wer­den, was sich täg­lich am Arbeits­platz abspielt, ist damit mehr gewon­nen als mit inten­si­ver Sym­ptom­be­kämp­fung. Es ist kein Zufall, dass die Acht­sam­keits­me­di­ta­tion in psy­cho­so­ma­ti­schen Kli­ni­ken grosse Erfolge fei­ert. Mein höchs­tes Ziel ist es, eins zu sein mit dem, was ich tue.

Ein gros­ses Wort. Was kann es im beruf­li­chen All­tag bedeuten?

Kürz­lich mel­dete sich die Rezep­tio­nis­tin ein­er Soft­ware­firma bei mir und beklagte sich über enor­men Stress. Immer klin­gle ein Tele­fon, immer­fort müsse sie zum Appa­rat ren­nen. Ich riet ihr, das Tele­fon drei Mal klin­geln zu las­sen, erst zu lächeln, dann im Takt der Klin­gel­töne ruhig zu atmen und dann freund­lich abzu­he­ben. So ver­liert der Appa­rat das Bedrohliche.

Andere wür­den sagen, so ver­liere die Rezep­tio­nis­tin wert­volle Zeit…

Wenn wir die Dinge rich­tig tun, haben wir mehr Zeit, weil wir ruhig, offen und mit Freude an die Arbeit her­an­ge­hen. Innere Kon­flikte, die ihre Ursa­che häu­fig in unre­flek­tier­ter Betrieb­sam­keit haben, ver­schlin­gen enorm viel Zeit und Ener­gie. Ähn­lich ver­hält es sich mit pri­va­ten Pro­ble­men, die in geschäft­li­chen Akti­vi­tä­ten ver­steckt wer­den. Ich kenne viele Men­schen, die nicht müde wer­den zu beto­nen, wie gestresst sie seien. Wenn sie andere Wege fin­den könn­ten, ihr Bedürf­nis nach Aner­ken­nung und Zuwen­dung zu stil­len, könn­ten sie ihren Wort­schatz vom Begriff Stress befreien und ihren Orga­nis­mus von den zuge­hö­ri­gen Symptomen.

Sie plä­die­ren für gemein­same Atem­übun­gen satt der übli­chen krie­ge­ri­schen Rhe­to­rik zu Beginn von Team­sit­zun­gen. Wie rea­gie­ren Kader­leute darauf?

Ich habe in zahl­rei­chen Semi­na­ren mit sehr erfolg­rei­chen Mana­gern gemerkt, dass wir uns nur wäh­rend rund einem Drit­tel der Zeit mit Rhe­to­rik beschäf­ti­gen, in der übri­gen Zeit aber vom Pri­vat­le­ben reden. Das hat sei­nen guten Grund. Nur wer sein Wesen zu ver­ste­hen lernt, kann ande­ren mit Liebe und Respekt statt mit Kampf und Frus­tra­tion begeg­nen. Authen­ti­zi­tät und Mit­ge­fühl lernt man nicht im Bör­sen­teil der Zei­tung – so wich­tig der in ande­rer Hin­sicht sein mag.

Sie sel­ber sind nicht nur Man­age­ment-Train­er und ZEN-Bud­dhist, son­dern auch Bild­hauer – eine nicht all­täg­li­che Kombination!

(Lacht.) Ja, ich habe zum Schreck mei­ner Fami­lie, die sehr gross ist und fast durchs Band aus Aka­de­mi­kern beste­ht, nach mei­ner ers­ten Aus­bil­dung auch noch eine Stein­metz– und Bild­hau­er­lehre absol­viert und mich in der Folge dar­auf spe­zia­li­siert, Grab­steine für die Ver­wandt­schaft her­zu­stel­len. Nein, im Ernst, es ist sehr hilf­reich zu wis­sen, wie schw­er ein Ham­mer nach acht Stun­den Arbeit in der Hand liegt. Ich bin sich­er, dass die andau­ernde Kopf­ar­beit in unse­rem Orga­nis­mus Stö­run­gen pro­du­ziert. Des­halb brau­chen wir alle drin­gend einen Aus­gleich. Eine Stunde Gar­ten– oder Haus­ar­beit kann so gese­hen eine unglaub­li­che Erfül­lung sein, wenn wir dabei eins sind mit unse­rem Tun und nicht stän­dig daran den­ken, wovon es uns abhält. So gese­hen wäre es sinn­voll, wenn Chefs gele­gent­lich einen Besen in die Hand näh­men und den Gang wisch­ten, statt nur über struk­tu­rel­len Berei­ni­gun­gen zu brüten.